Heute möchte ich dir Ausschnitte des Buches „Tief verbunden“ von Diane Poole Heller vorstellen.
Das Buch ist eine echte Entdeckung für mich. Es beinhaltet viele sehr konkrete Hinweise und Übungen zur Förderung der sicheren Bindung in sich selbst und mit anderen und ist eine wunderbare
Zusammenführung der Traumatherapie mit dem Thema der emotionalen Bindung.
Über Dr. Diane Poole Heller
Dr. Diane Poole Heller hat die Traumatherapie-Methode Somatic Experiencing von Peter Levin gelernt und gibt ihr Wissen als Trainerin seit über 20 Jahren weiter. Sie ist eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet der Traumatherapie und hat ihren Schwerpunkt auf Bindungsstörungen gelegt. Mit DARe (Dynamic Attachment Re-Pattering Experience) hat sie einen eigenen Ansatz der Arbeit mit Bindungstrauma entwickelt.
Ihr Buch "Tief verbunden"
In ihrem Buch „Tief verbunden“ stellt Heller Merkmale der verschiedenen Bindungstypen ausführlich dar. Sie unterscheidet folgende Bindungsstile:
Sichere Bindung
Vermeidende Bindung
Ambivalente Bindung
Desorientierte Bindung
Sie beschreibt sowohl, wie ich meinen eigenen Bindungstyp erkennen und damit umgehen kann, als auch wie ich meine*n Partner*in und dessen bzw. deren Bindungsverhalten unterstützen kann. Sie gibt
Antworten auf die Frage: Was brauche ich, was braucht mein Gegenüber, wenn ich dieser oder jener Bindungstendenz angehöre? In einem weiteren Kapitel geht sie speziell auf Paare und deren
unterschiedlichen Bindungsstile und -dynamiken ein und zeigt Wege auf, in eine gemeinsame tiefere Bindung zu finden.
12 Punkte für eine sichere Bindung
In diesem Blog-Artikel gebe ich dir einen kompakten Überblick, wie du deine Beziehungen im Sinne einer sicheren Bindung pflegen und fördern kannst.
Heller hat dafür 12 Punkte herausgearbeitet:
1. Höre aufmerksam zu
Hier erklärt Heller was es braucht, um einen anderen tiefgreifend zu verstehen und ein Gefühl von Kontingenz herzustellen. Mit Kontingenz ist eine Beziehungserfahrung gemeint, bei der ich mich
von meinem Gegenüber gesehen und verstanden fühle. Aufmerksam zuhören heißt in diesem Zusammenhang also, wirklich verstehen wollen. In diesem Moment in dem die andere spricht, mit meiner
Aufmerksamkeit ganz bei ihr zu sein. Meine eigenen inneren Reaktionen auf das Gehörte für einen Moment zurück zu halten, und den Impuls sofort etwas dazu zu sagen, zunächst zurück zu stellen.
Nicht gleich das Gespräch wieder an mich reißen zu wollen und innerlich wieder bei mir zu sein, sondern zunächst einmal wirklich verstehen wollen. Besonders herausfordernd kann das sein, wenn es
sich um eine Klage oder einen Vorwurf gegen mich handelt, oder wenn ein stark emotional aufgeladenes Thema in mir berührt wird.
Durch Nachfragen kann ich jedoch versuchen die andere Person besser zu begreifen und Informationen zu bekommen, was im anderen in diesem Moment geschieht. Das heißt nicht, dass ich alles glauben
oder der gleichen Meinung sein muss. Diese Form der Kommunikation führt zu einem deutlich verbesserten Informationsaustausch und dazu, zu hören und gehört zu werden, unabhängig von den
emotionalen Reaktionen.
Durch diese Art des Zuhörens verfügen wir über eine Möglichkeit, aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen.
2. Übe Präsenz ein
Präsenz ist eines der wertvollsten Geschenke, die wir uns und anderen machen können, meint Diane Poole Heller. Präsenz heißt mit all meinen Fähigkeiten voll und ganz da zu sein, meine vollständige Aufmerksamkeit auf diesen Moment mit diesem Menschen zu richten. In der oft ablenkungsreichen Multitasking-Zeit, fokussiert zu bleiben. Wir spüren, ob ein Mensch aufmerksam und als Gegenüber für uns erreichbar ist. Diese Erreichbarkeit ist eine Voraussetzung für innere Verbindung.
3. Komm mit anderen in Einklang
Mit anderen in Einklang zu sein beinhaltet eine Kombination von Zuhören, Präsenz und einem hohen Maß an Mitgefühl. Mitgefühl, im Sinne von „empathischer Sorge“ und emotionalem Mitschwingen. Ist eine Person begeistert, so empfinden vielleicht auch wir eine beschwingte Freude. Ist jemand in Not, so wollen wir unterstützen. Die Fähigkeit zu Einklang umfasst ein starkes Interesse für die Erfahrungen der anderen, ein Versuch zu verstehen, worum es genau geht, die Neugierde auf und eine Resonanz mit der anderen Person.
4. Bemühe dich um gemeinsame Aufmerksamkeit
Diese Aufmerksamkeit kann sich in gemeinsamen Aktivitäten zeigen: Ein Spiel, Unternehmungen, wie kochen, tanzen, meditieren. Auch einen Film gemeinsam zu gucken, dabei immer wieder Blickkontakt aufzunehmen, zusammen zu lachen oder berührt zu sein und sich danach darüber zu unterhalten stärkt und festigt die Bindung.
5. Halte den Kontakt aufrecht
Die Fähigkeit Kontakt aufrecht zu halten, bedarf der Achtsamkeit bei der Beantwortung von Mitteilungen der anderen Person. Besonders bemerkenswert bei diesem Punkt fand ich die Anmerkung, dass
Klagen und Konflikte manchmal Versuche sind, Verbindung herzustellen. Hinter einem Vorwurf, wie: „Schon wieder bist du mit deinen Jungs unterwegs.“, kann also auch die Botschaft stecken: „Ich
liebe dich wirklich und möchte mit dir zusammen sein, deshalb fehlst du mir, wenn du fort bist.“ Für eine sichere Bindung ist es wichtig auf die dahinter liegende Botschaft zu reagieren. Reagiere
zeitnah und versuche in der Qualität deiner Reaktion der jeweiligen Bitte zu entsprechen.
Natürlich ist es nicht immer möglich auf jedes Ansinnen unseres Partners zu reagieren, jedoch sollten wir dem Ruf nach Verbindung mit Mitgefühl und Bereitwilligkeit begegnen.
6. Achte aufs Kommen und Gehen
Kommen und Gehen können wichtige Übergangsphasen sein, die nicht für alle von uns mit Leichtigkeit zu bewältigen sind. Unser Bindungssystem reagiert empfindlich auf Annäherung und Verlassen. Was
für eine Art von Mensch bist du? Ist für dich der Aufbruch schwieriger, oder das Wiedersehen? In diesem Abschnitt stellt Heller eine kleine Übung von Stan Tatkin vor: Die Welcome Home Exercise.
Nimm dir einen Moment Zeit, wenn deine Partnerin nach Hause kommt. Schließe sie in die Arme und stehe eine Weile mit ihr in dieser körperlichen Verbindung. Spüre deinen Atem und den Atem deiner
Partnerin. Haltet euch so eine Zeit lang und spürt, wie sich eure Nervensysteme miteinander regulieren.
Heller lädt dazu ein, kleine gemeinsame Rituale festzulegen, welche die Bedeutung von Kommen und Gehen würdigen.
7. Benutze deine Augen
Wir sind neurologisch darauf ausgelegt von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren. Der Augenkontakt ist dabei von höchster Bedeutung. Du weißt: Ein Blick sagt mehr, als tausend Worte…
Der Glanz in den Augen der Eltern ist für das Kind essenzielle Seelennahrung. Also achte auf deinen Blick. Darauf, was du damit ausdrückst und auch darauf, was du darüber empfangen kannst. Blicke
funktionieren in beide Richtungen. Dabei können sie auch sehr intensiv und gar invasiv werden. Das Abwenden des Blickes kann also auch Respekt ausdrücken. Versuche das mehr und mehr in dein
Bewusstsein zu rücken. Vielleicht ist es manchmal angenehmer und verbindender gemeinsam den Blick auf etwas anderes zu richten und sich über die Beschäftigung mit diesem anderen zu verbinden.
Probiere aus.
8. Widme dich dem Spiel
Ein Spiel ist ein wunderbares und einfaches Mittel, um Verbundenheit und Vertrauen zu fördern. Dabei geht es um das Amüsement miteinander und um die Leichtigkeit der Verbindung, nicht darum wer gewinnt.
9. „Entautomatisiere“ dich
Unsere Fähigkeit zu Automatisieren ist in vielen Alltagsdingen enorm hilfreich und entlastend: Fahrradfahren, bestimmte gewohnte Wege zurücklegen, Rituale. Wir müssen nicht alles immer und immer wieder neu bedenken und Lösungen entwickeln, sondern können auf bewährte Muster zurückgreifen. Auch das gibt Sicherheit. Unserem Partner gegenüber sollten wir es uns aber gestatten, ab und an wieder aufmerksam hinzusehen, um dem Wunderwerk Mensch und seiner Einzigartigkeit gerecht zu werden. Wir behalten damit die Möglichkeit uns überraschen zu lassen, und unser Gegenüber tiefer kennenzulernen. Dadurch bleiben wir offen und neugierig. Das erhält die Beziehung jung und anpassungsfähig.
10. Ausbessern, ausbessern, ausbessern
Nach einer Studie von John Gottman halten jene Beziehungen am längsten, in denen die Partner brüchige Stellen beständig instand setzen und Risse kitten. Paare, die sich frühzeitig mit ihren gegenseitigen Verletzungen und Dynamiken beschäftigen, steigern die Verlässlichkeit ihrer Bindung. Gib deinem Partner eine neue Chance, geh wieder auf ihn zu. Und auch hier wieder: Hört euch gegenseitig zu, versucht wahrhaft zu verstehen. Wenn Scham auftritt achte darauf, dass das Gefühl von Zugehörigkeit und Verbindung wieder hergestellt wird. Versuche dein Möglichstes, um wieder Einklang herzustellen. Vielleicht gibt es Codeworte, die ihr vereinbart. Damit kannst du deinem Partner signalisieren, dass du wieder bereit bist in Verbindung zu treten oder zu vergeben.
11. Schaffe und erweitere deine Ressourcen
Übernimm Verantwortung für dein Wohlbefinden. Heller geht davon aus, dass wir alle die Anlage zu sicherer Bindung in uns tragen und das diese, durch ungünstige Erfahrungen, nur überlagert sind. Durch die Neuroplastizität unseres Nervensystems haben wir die Möglichkeit durch Übungen und gezieltes Training wieder Zugriff auf unser sicheres Bindungssystem zu erlangen. Wenn du eine neue, sichere Erfahrung machst, versuche sie zu verinnerlichen, so dass die in uns tief verwurzelte sichere Bindung aktiviert werden kann.
12. Widme dich dem Guten
„Während der Genesung von einem Trauma ist es wichtig, die eigenen Wunden zu untersuchen, sie behutsam zu versorgen und mitfühlend mit sich selbst umzugehen…“. Zugleich sollten wir nicht darin versinken und das Positive in unserem Leben ebenso pflegen und hervorheben. Dazu gehört die Gabe zu erkennen was bei uns richtig läuft und lebensbejahenden Gefühlen und Erfahrungen Raum zu geben. „Die sichere Bindung“, sagt Heller, „ist Ihr Geburtsrecht, und indem Sie deren Ausdrucksformen einüben, wird sie in Ihrem Leben umso offensichtlicher und bestimmender.“
Resümee
Ein überaus gelungenes Buch mit verständlichen Texten und praktischen konkreten Handlungsempfehlungen und Übungsideen. In der Zusammenschau auf die 12 Punkte spricht mich die Mischung aus
Selbstverantwortung, Unterstützung für meinen Partner und Mitgefühl für mich und andere besonders an. Diane Poole Heller: „Tief verbunden“, Kösel-Verlag, 2. Auflage 2023, 271 Seiten.
Bedenke, dass wir unser Bindungsverhalten vom Zeitpunkt unseres Entstehens an aufsaugen. Es sitzt uns in jeder Zelle. Es zu verändern bedarf der Zeit, der liebevollen Hinwendung und Geduld. Wir
können es im Miteinander Millimeter für Millimeter verändern und erweitern. Hole dir dafür Unterstützung von Freunden, deiner Partnerin, deinem Partner oder von professioneller Seite.
Nimm gerne Kontakt auf.
Ich freue mich auf dich!
Herzlichst,
anne
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Irene (Samstag, 16 Dezember 2023 00:58)
Hinweis: Die ganz oben erwähnten Bindungsstile hat Heller nicht selbst entwickelt oder benannt, sie stammen von Bowlby und Ainsworth. Und ich denke, es ist wichtig zu erwähnen, dass viele Menschen nicht den einen streng abgegrenzten Bindungsstil haben, sondern dass sich der Bindungsstil auch je nach Situation oder Kontext zu der einen oder andere Richtung lehnen kann. Und natürlich bedeutet es nicht, dass jemand mit einem unsicheren Bindungsstil per se keine guten und sicheren Beziehung im Leben führen wird – das finde ich auch immer wichtig zu sagen, es gibt ja kein schwarz-weiß.
Die zwölf Punkte finde ich schön, das sind tolle Impulse bei. Danke für die Zusammenfassung! :-)
anne schricker GESTALTTHERAPIE (Samstag, 16 Dezember 2023 13:23)
Herzlichen Dank für die Ergänzungen, liebe Irene.
Heller schreibt auch selber in ihrem Buch, dass wir alle unterschiedlich stark ausgeprägte Tendenzen innerhalb der (modellhaft voneinander abgegrenzten) Bindungsstile haben. Gut, dass du das noch einmal so explizit benennst. Ein wichtiger Hinweis.
Herzliche Grüße,
anne