In einer Sitzung mit Andreas bearbeiten wir das Thema seiner bereits zwei Jahre zurück liegenden Covid-19-Infektion. Er ist einer derjenigen, die in der ersten Welle krank wurden und in 14-tägige
Isolation mussten. Gerade hatte er eine andere schwere Erkrankung überstanden. Nun das. Die erneute Konfrontation mit einer Bedrohung, die sich völlig unberechenbar anfühlt. Damals wussten wir
noch nicht viel über dieses Virus. Es gab noch keine Impfstoffe und die Bilder von Bergamo und aus China waren in unser aller Köpfe.
So war er in das Zimmer einer Isolierstation verbannt und dort alleine mit sich, mit seinen Ängsten und Phantasien. Wie geht es einem Menschen in solch einer Situation? Alleine und ohne Kontakt?
In einer sich existenziell anfühlenden Lage.
Alleine sein
Der Youtuber Fritz Meinecke hat letztes Jahr 7 Personen für 7 Tage alleine in die Wildnis von Schweden auf eine Survival-Herausforderung geschickt. 7 junge und gesunde Männer. Wer dieses Abenteuer im Internet verfolgt hat, der weiß, die größte Herausforderung für die Abenteurer war es alleine zu sein. Ohne Kontakt. Ohne Gefährten. Diese Menschen hatten sich freiwillig in diese Situation begeben. Sie waren abgesichert durch ein Rettungsteam, welches sie jederzeit dort heraus holen würde. Ein Abenteuer mit Reißleine, in Freiwilligkeit und bester Gesundheit. Jung und gesund in Schwedens weiter Natur. Ich will das auf keinen Fall klein reden. Die Leute haben sich einer großen Herausforderung gestellt, die ich mir so nicht zutrauen würde. Ihnen gilt mein voller Respekt. Was ich bemerkenswert fand? Alle spürten es: Die größte Schwierigkeit war es alleine zu sein. Sich nicht austauschen zu können. Seine Freuden, aber auch Ängste nicht teilen zu können. Ich war tief berührt davon, wie offen sie alle mit ihren Gefühlen umgingen. Und wie offen sie genau über diese Einsamkeit gesprochen haben. Ein ganz ganz tolles Projekt.
Trauma und Isolation
Als ich Andreas in der Praxis gegenüber sitze und er mir seine Geschichte erzählt, wird dies eine besonders deutlich: Die Last der Isolation. Wie schrecklich es ist, in so einer Situation alleine
zu sein. Minuten, Stunden, Tage, Nächte. Länger als die 7 Tage unserer Abenteurer in Schweden.
In solchen Momenten ist es wichtig, die Person, die ihre Geschichte erzählt nicht erneut alleine zu lassen. Wenn wir über Erlebnisse, die wir hatten berichten, dann taucht unser Organismus erneut
in die Situation ein. Unser Nervensystem kann nicht unterscheiden, ob wir das gerade jetzt erleben oder, ob die Situation lange vorbei ist. Sobald wir darüber sprechen und emotional eintauchen
reagiert auch unser Nervensystem. Deshalb ist es auch nicht immer hilfreich über schreckliche Erlebnisse ungebremst zu sprechen. Das Nervensystem sollte nicht erneut überflutet werden. Sonst kann
es zu Retraumatisierungen kommen. Vor allem sollte die Person nicht erneut das erleben, was sie in der traumatisierenden Situation erleben musste. Nämlich alleine zu sein. In solchen Fällen kann
eine andere Person regulierend unterstützen. Wie können wir das tun?
Das Nervensystem beruhigen
Wie beruhigen wir instinktiv ein weinendes Baby? Über Körperkontakt. So einfach, so wirksam! Natürlich wissen wir als erwachsene Menschen, dass die Situation vorbei ist und, dass wir in
Sicherheit sind. Das Stammhirn aber, das in dem Moment eventuell schon im Überlebensmodus von Kampf, Flucht oder Todstellreflex ist, weiß das nicht und ist auch über den Intellekt nicht
erreichbar. Das Stammhirn ist der älteste Teil unseres Gehirns, auch Reptiliengehirn genannt. Sobald wir in Lebensgefahr geraten übernimmt es. Es ist schnell und mächtig. Und das ist gut so. Wenn
wir erst einmal intellektuell auseinandersetzen wollen was am besten zu tun sein könnte, wenn das Auto auf uns zurast, hätten wir ein kurzes Leben. Das Stammhirn reagiert „schneller als wir
denken“ können. Der Sympathikus, der für die Mobilisierung zuständig ist, springt sofort an, so dass die lebensrettende Energie im Körper zur Verfügung gestellt wird. Blutzuckerspiegel,
Herzschlag, Atmung, Aufmerksamkeit. Alles ist maximal auf „on“.
In der Therapiestunde wollen wir aber nicht erneut alle Systeme hochfahren. Der Mensch soll die Chance haben zu erleben, dass die Gefahr vorbei ist, dass er überlebt hat und dass er jetzt sicher
ist. Es gilt also eine erneute Überschwemmung zu verhindern, um das Schlimme in Ruhe verarbeiten zu können.
Körperkontakt als Zugang zum Stammhirn
Über Körperkontakt ist unser Organismus in der Lage sich an ein externes Nervensystem anzudocken. Ein Baby spürt über den Hautkontakt mit der Mutter oder dem Vater ihre/seine Gestimmtheit. Ist
die erwachsene Person ruhig, so fühlt das Baby die warme trockene Haut, den ruhigen Puls oder Herzschlag, die beruhigende Ausstrahlung. Das Nervensystem des Kindes erlebt, dass es in Sicherheit
ist. Denn die andere Person strahlt das aus. Der ganze Organismus des Kindes realisiert, dass alles in Ordnung ist und kann sich mit dieser Hilfe wieder regulieren und beruhigen.
Wenn wir diese Möglichkeit der externen Regulation nutzen, dann gibt es einige Regeln zu beachten.
Die Regeln: Ein Angebot machen
Das Wichtigste ist es zunächst zu erklären, was ich als Therapeutin gerade wahrnehme und wie ich die Situation einschätze. Das kann ich tun, in dem ich zum Beispiel sage: „Für mich sieht es so aus, als ob da gerade viele Gefühle und Bilder von damals auftauchen. Ich denke es könnte wichtig sein, dass Sie fühlen können, dass Sie jetzt und hier nicht alleine sind, so wie Sie es damals waren.“
Um Erlaubnis fragen
„Ich frage mich, ob es vielleicht hilfreich sein könnte, dass Sie das auch spüren. Manchmal ist es gut das über den Körper zu regulieren. Könnten Sie sich vorstellen, dass ich Sie dabei unterstütze? Dafür würde ich mich zu Ihnen rüber setzen und wir könnten unsere Arme beide auf die Stuhllehne nebeneinander legen, so dass sie sich berühren und Ihr Körper realisieren kann, dass Sie nicht alleine sind. Wie hört sich das für Sie an?“
Vorbereiten
Sofern der Klient zustimmt, sage ich, was ich als nächstes plane zu tun: „Dann würde ich jetzt meinen Stuhl neben Ihren stellen. Ist das ok?“
Schritt für Schritt nähere ich mich dann an. Alles in Absprache mit dem Klienten.
Es ist wichtig hier genügend Zeit zu geben und genau zu überprüfen, ob der Klient nicht nur „ja“ sagt, aber „nein“ meint. Sobald ich merke, dass sich die Person versteift oder flacher atmet,
überprüfe ich noch einmal und gehe ggf. einen Schritt zurück oder verwerfe die Idee.
Wenn der Vorschlag angenommen wird, dann komme ich schließlich so nah, dass sich unsere Unterarme berühren.
Achtsam sein
Dann gilt es weiter zu gucken, wie mein Klient darauf reagiert. Kommt es zu einer Entspannung, zu vertiefter Atmung, vielleicht zu sich lösenden Tränen?
Wir bleiben so lange sitzen, bis sich der Organismus vollständig reguliert hat.
Dann können wir darüber sprechen was passiert ist. Wie geht es dem Klienten jetzt? Abschließend nehmen wir uns Zeit dafür wieder gut im Raum und in der Gegenwart anzukommen. Die Orientierung
entspricht unserer natürlichen Reaktion, nach einem Schrecken. Es hilft uns auf allen Ebenen (Stammhirn, limbisches System, Neokortex) zu realisieren, dass die Gefahr vorbei ist und wir wieder
sicher sind.
Einen guten Abschluss finden
Meist stelle ich zum Stundenende den vorherigen Abstand wieder her und setzt mich wieder gegenüber.
Mein Klient soll wieder auf eigenen Beinen stehen können und sich selbst in seiner Kraft spüren bevor er geht.
Andreas wurde durch diese kleine Übung klar warum er sich noch heute in bestimmten Situationen zurück zieht. Die Angst wieder alleine gelassen zu werden, war einfach zu groß. Lieber selber gehen,
als verlassen zu werden.
Top-down- versus bottom-up-Regulation
Manchmal gibt es solche Erkenntnisse schon vorher. Der alte Schrecken sitzt aber noch im Körper und kann nicht top-down reguliert werden. Es ist also trotz der intellektuellen Einsicht immer noch
die Panik im Körper und kann nicht abgestellt werden. Die Regulation über das Nervensystem wie im oben beschriebenen Fall ist eine bottom-up-Regulation. Vom Nervensystem aus über das Stammhirn
und das limbische System in das Säugetiergehirn (den Neokortex). Die Erkenntnis folgt der körperlichen Erfahrung, nicht umgekehrt.
Diese Gedanken entwickeln sich in mir während ich mit Covid-19 in häuslicher Isolation bin. Ich realisiere wie viel Glück im Unglück ich habe. Ich fühle mich im eigenen Bett sicher und gut
geschützt. Meine Familie ist - wenn auch in anderen Räumen und hinter FFP2-Masken - in meiner Nähe. Und doch vermisse ich schon den Kontakt, die Berührung, das Unbeschwerte.
Balance finden - Was hilft dir?
Im Moment müssen wir vieles innerlich ausbalancieren: Social Distancing versus Nähe. Der Zwiespalt, in dem wir uns in den letzten Jahren bewegen mussten und teilweise noch immer müssen. Die
Beunruhigung durch Pandemie, Kriege, die Klimakrise. Welche Strategien des Umgangs stehen uns zur Verfügung? Wie ruhig und klar und handlungsfähig bleiben?
Wie machst du das? Was hilft dir?
Ich freue mich über deine Gedanken.
In Liebe
anne
P.S.: Bist du neugierig auf meine Arbeit geworden? Dann mache gerne einen Vorgesprächstermin mit mir aus.
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