Ego oder Eingebundenheit - Die innere Oszillation im Ich und Wir

 

Wie geht des dir in dieser Zeit? Wie schaffst du es jeden Tag mit Lebenslust zu begehen? Trotz der vielen Beängstigungen und der damit verbundenen Mühsal?
Ich meditiere zur Zeit viel. Was ich früher nur ab und an gemacht habe gönne ich mir nun jeden Tag. Jeden Morgen nehme ich mir eine halbe Stunde Zeit. Ganz für mich. Der Tod von Thich Nhat Hanh war Anstoß dazu regelmäßiger zu praktizieren. Ich habe mir einige Videos von ihm angesehen und Bücher von ihm gelesen. Was für ein sanfter Mensch. Entschieden und Konsequent in seiner Art. Auch fremd. In jedem Fall spannend und anregend. Besonders schön finde ich diese Meditation:

Einatmend sehe ich mich selbst als Blume

Einatmend weiß ich, dass ich einatme.
Ausatmend weiß ich, dass ich ausatme.
Ein.
Aus.

Einatmend sehe ich mich selbst als eine Blume.
Ausatmend fühle ich mich frisch.
Blume.
Frisch.

Einatmend sehe ich mich selbst als einen großen Berg.
Ausatmend fühle ich mich fest.
Berg.
Fest.

Einatmend sehe ich mich selbst als ruhiges Wasser.
Ausatmend spiegle ich die Wirklichkeit wider, wie sie ist.
Ruhiges Wasser.
Widerspiegeln.

Einatmend sehe ich mich selbst als weiten Raum.
Ausatmend fühle ich mich frei.
Weiter Raum.
Frei.

Erfahrungen in der Meditation

Die Zeilen beinhalten für mich alles, was Lebendigkeit ausmacht. Wenn ich konzentriert genug bin antwortet mein Körper mit innerer Resonanz auf jedes einzelne der Worte. Spannende Empfindungen treten ins Bewusstsein.
Es gibt Tage, da ist der Geist so unruhig, dass er nach jedem Wort wieder freundlich eingeladen werden muss. An einigen Tagen gelingt es besser. Es breitet sich ein tiefes Gefühl der Ruhe in mir aus. Oder Momente maximaler Lebendigkeit. Ein Gefühl, als wäre jede Körperzelle durchströmt von Leben. Jede Zelle pulsiert. Meist ist es nur eine Sekunde. Dann weicht die Empfindung wieder. Aber das ist ein Glücksgefühl und eine Entdeckung.
So sitze ich morgens für mich.

Wie findest du zu dir?

Wie findest du zu dir? Machst du ähnliche Erfahrungen?
Bei sich sein. Die Lebendigkeit des eigenen wunderbaren Körpers wahrnehmen. Das ist das eine. Verbindung zu sich selbst.
Wie sieht es aus mit dem eingebunden sein? Im Buddhismus geht es ja immer auch um die Verbindung zur Natur und zu anderen. Um das Loslassen des Anhaftens. Das Loslassen des Egos.

Gibt es überhaupt ein Ich?

Für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Was bedeutet das? Zwischen Ich und Wir beginnt etwas zu schwingen, zu oszillieren. Also doch ein Selbst? Ein Ego für das du sorgen musst. Für das du Verantwortung trägst? Jeder ist seines Glückes Schmied? Oder sind wir nur Ausstülpungen eines riesigen Lebensmyzels? Im Familienstellen erscheint es mir oft so. Wir sind alle verbunden. Was ich tue, was ich denke, was ich fühle wirkt sich auf alle anderen aus. Heißt es dann am Ende nicht: Verantwortung für mich übernehmen, ist ein Übernehmen von Verantwortung für alle? Vielleicht liegt hier eine Antwort.
Wie ist das, wenn ich verantwortlich für mich bin? Dann muss ich mich manchmal auch abgrenzen, zur Wehr setzen. Ängste vor Ausgestoßensein ertragen. Den eigenen Weg gehen. Dinge klären, richtig stellen, einen Konflikt austragen. Eigene innere Scham verhandeln. Den Selbstwert stabilisieren. Und das alles, wo wir doch ein riesenhaftes Myzel sind? Und alle eins? Jedes Lebewesen nur ein Pilzkörper. Der aus dem Ganzen heraus an die Oberfläche strebt. Aus diesem weltumspannenden Wir-Gewebe heraus?
Wo bin ich also in meinem Ichsein? Ist es möglich das das Ichsein eine Illusion ist? Dass dieses Ichsein immer inmitten des Wirseins stattfindet?

Was du anderen antust, das tust du auch dir an

Jemanden aus einer Gruppe auszuschließen macht etwas mit der ganzen Gruppe. Nicht nur die oder der Ausgeschlossene ist betroffen. Thich Nhat Hanh sagt, wenn ich jemandem anderen etwas antue, so tue ich es auch mir an. In den Kriegen, die gerade stattfinden, kämpfen die Soldaten nicht nur gegen den Feind. Sie verletzen sich auch selbst. Sehr gut sichtbar ist das bei den vielen traumatisierten Veteranen. Lange sind sie in ihrem Leid nicht verstanden worden. Sie hatten überlebt, waren vielleicht nicht einmal verwundet worden. Vielleicht hatten sie auch keinen Kameraden verloren. Aber sie hatten Leid zufügen müssen. Und so sich selbst verletzt.
Was heißt das für uns und unseren Umgang mit Konflikten. Was tun, wenn ich für mich selber einstehen muss oder möchte? Mich verteidigen? Ist es möglich liebevoll bei mir zu bleiben und zugleich liebevoll beim anderen?
Ich versuche also mich selbst zu verstehen. Herauszufinden, was los ist in mir und was ich gerade brauche. In diesem Verständnis für mich, kann der Blick auf die oder den Andere*n weicher werden. Was ist seine Angst? Ihr Anliegen? Sein Bedürfnis? Vielleicht können wir uns in Respekt gegenüberstehen. Respekt vor mir und Respekt vor ihr oder ihm?

Achtung vor dir selbst und vor deinem Feind

In diesen Zeiten, in denen der Druck, Sorge und Angst steigen, ist gerade das oft eine Herausforderung. Wie kann man Menschen die der eigenen Meinung nach etwas falsch machen, vielleicht schreckliche Dinge tun, immer wieder mit Respekt und Offenheit begegnen? Eine lange Übung.
Wie kann ich auch mir selbst, die ich nicht ohne Fehler bin, in Achtung und Respekt begegnen? Immer wieder neu.
Wie bei der Meditation. Sich immer wieder selbst neu einladen. In Konzentration und liebevoller Achtsamkeit.

Die Körperempfindung als Weg zu dir selbst

Während ich das schreibe, bemerke ich, wie sich meine inneren Wogen glätten. Mein Atem wird tiefer. Alles sinkt etwas ab in meinem Körper. Physisch fühlt es sich nach Lösung an. Nach einem tieferen Verständnis. Habe ich hier gerade eine innere Frage in mir geklärt? Wenn ich meinen Körperempfindungen folge, dann formt mein Geist die Antwort: Ja. Da scheinst du gerade etwas für dich neu verhandelt zu haben.

Was beobachtest du in deinem Körper während du diesen Text liest? Welche Empfindungen steigen auf? Welche Emotionen, Gedanken, Bilder? Fängst du an unruhig mit dem Fuß zu wippen. Oder lehnst du dich gerade zurück?
Gib mir Rückmeldung dazu. Wie ist deine innere Haltung zu dieser komplexen Thematik? Wo sperrt es sich? Wo löst sich etwas? Was sind deine Gedanken?

Ich freue mich auf einen lebendigen Austausch! Schreibe gerne einen Kommentar oder eine e-mail.

Wünsche dir friedvolle und lebendige Tage.

Herzlichst

anne

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Anne Schricker | Heilpraktikerin für Psychotherapie / 040 31 81 43 23 / info@anne-schricker.de